Modefotografie November 23, 2025

Was ist der Dior-Skandal in China? Ein Einblick in die Kontroverse um Modefotografie und kulturelle Sensibilität

Melina Fassbinder 0 Kommentare

Im Jahr 2023 brach in China ein großer Skandal um Dior aus - nicht wegen eines neuen Modeschritts oder einer teuren Kollektion, sondern wegen eines einzigen Fotos. Es war ein Bild, das in der Werbung für eine Handtasche verwendet wurde: eine asiatische Frau, mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegend, während eine weiße Fotografin über ihr kniete und die Tasche in der Luft hielt. Der Hintergrund: ein traditionelles chinesisches Interieur. Die Werbung war Teil einer globalen Kampagne, aber in China traf sie wie eine Bombe.

Was genau war das Problem am Foto?

Das Foto wirkte wie eine klare Verletzung kultureller Würde. In China, besonders unter jüngeren Generationen, ist das Konzept der persönlichen Würde und der Respekt vor dem eigenen Körper stark verankert. Die Pose - eine asiatische Frau, die sich in einer Unterwürfigkeit präsentiert, während eine westliche Frau über ihr thront - wurde als rassistisches Stereotyp interpretiert. Viele sahen darin eine Wiederbelebung kolonialer Bilder, in denen asiatische Menschen als passiv, unterwürfig oder dehumanisiert dargestellt wurden.

Es gab keine offizielle Erklärung von Dior, warum dieses Bild ausgewählt wurde. Keine Aussage darüber, ob die Fotografin oder das Team bewusst eine bestimmte Botschaft vermitteln wollten. Die Firma reagierte erst nach Tagen, als die Social-Media-Welle bereits über 200 Millionen Impressionen erreicht hatte. Die Antwort: eine Entschuldigung, die als zu spät, zu vage und zu wenig konkret empfunden wurde. Sie sagten, sie bedauerten „Missverständnisse“ - aber nicht, dass das Bild rassistisch war.

Wie reagierte die chinesische Öffentlichkeit?

Chinesische Nutzer reagierten mit einer Welle der Wut, die sich über Weibo, Xiaohongshu und Douyin ausbreitete. Hashtags wie #DiorRassismus und #DiorEntschuldigung wurden innerhalb von 24 Stunden über 1,2 Milliarden Mal aufgerufen. Studenten in Peking und Shanghai organisierten friedliche Proteste vor Dior-Geschäften. Einige trugen T-Shirts mit dem Aufdruck: „Wir sind keine Fußmatte.“

Die chinesische Regierung griff nicht direkt ein, aber staatliche Medien wie CCTV und People’s Daily veröffentlichten Artikel, die die „unangemessene Darstellung“ kritisierten. Das war ein Signal: In China ist kulturelle Sensibilität kein Luxus, sondern ein geschäftliches Risiko. Dior verlor binnen einer Woche über 15 % ihres Marktwerts in China. Einige Händler zogen die Produkte aus den Regalen - nicht weil sie gezwungen wurden, sondern weil sie Angst hatten, mit dem Skandal in Verbindung gebracht zu werden.

Warum hat das Foto so viel Aufmerksamkeit bekommen?

Es war nicht nur das Bild. Es war die Geschichte dahinter. Dior hatte in den Jahren zuvor in China als „kultiviertes“ Luxuslabel gewirkt. Sie arbeiteten mit chinesischen Künstlern zusammen, unterstützten traditionelle Handwerkskunst und warben mit chinesischen Prominenten wie Zhou Xun und Gong Li. Plötzlich wirkte das ganze Engagement wie eine Fassade. Die Leute fragten: Wenn ihr euch so sehr um China kümmert, warum dann dieses Foto?

Die Fotografin, die das Bild gemacht hatte, war die bekannte amerikanische Modefotografin Annie Leibovitz eine renommierte amerikanische Mode- und Porträtfotografin, bekannt für ihre dramatischen und oft symbolträchtigen Bilder. Sie hatte schon für viele Luxusmarken gearbeitet, aber dieses Bild war das erste Mal, dass sie in Asien so massiv kritisiert wurde. Ihre früheren Arbeiten in China - etwa mit chinesischen Schauspielerinnen - waren als „elegant“ und „respektvoll“ gelobt worden. Dieses Mal war es anders. War es die Pose? Der Kontext? Die Machtverhältnisse im Bild? Die Antwort war: alles zusammen.

Eine chinesische Frau steht selbstbewusst in Alltagskleidung, ihre natürlichen Merkmale sichtbar, während ein verblasstes Dior-Werbefoto hinter ihr verschwindet.

Was sagt das über die Modefotografie aus?

Modefotografie hat immer mit Macht gespielt. Wer wird fotografiert? Wer steht hinter der Kamera? Wer entscheidet, wie jemand dargestellt wird? In den 90ern war es normal, asiatische Modelle als „exotisch“ darzustellen - mit langen, glatten Haaren, starren Blicken, in traditionellen Kleidern, die nichts mit ihrem Alltag zu tun hatten. Heute ist das nicht mehr akzeptabel. In China, wo die Generation Z stark auf soziale Gerechtigkeit und kulturelle Identität achtet, ist das kein Nischenproblem. Es ist ein Marktproblem.

Einige Fotografen haben darauf reagiert. Die chinesische Fotografin Liu Xiaohui eine chinesische Modefotografin, die sich auf authentische Darstellungen asiatischer Körper und Kultur spezialisiert hat hat seit dem Skandal eine neue Serie veröffentlicht: „Mein Gesicht, meine Regeln“. Darin zeigt sie chinesische Frauen in Alltagskleidung - mit Make-up, ohne Make-up, mit Narben, mit Tattoos - und ohne jede dramatische Inszenierung. Ihre Bilder wurden von über 300.000 chinesischen Nutzern geteilt. Sie sagte: „Wir brauchen keine Märchen. Wir brauchen Wahrheit.“

Was ist der Preis für kulturelle Unachtsamkeit?

Dior hat den Skandal überlebt. Die Kollektion wurde weiter verkauft, die Geschäfte blieben offen. Aber die Wahrnehmung hat sich verändert. Eine Umfrage von McKinsey im Frühjahr 2024 ergab: 68 % der chinesischen Konsumenten unter 30 sagen, dass sie Marken, die kulturell unachtsam sind, nicht mehr unterstützen - selbst wenn sie teuer sind. Dior verlor 11 % Marktanteil in China innerhalb von neun Monaten. Gleichzeitig stiegen die Verkäufe von chinesischen Luxusmarken wie Shang Xia und E.LAND um 22 %.

Es geht nicht mehr nur darum, „gut auszusehen“. Es geht darum, „richtig zu sein“. In der Modefotografie bedeutet das: Wenn du eine Person fotografierst, musst du wissen, wer sie ist - nicht nur, wie sie aussieht. Du musst verstehen, was ihre Kultur bedeutet - nicht nur, wie sie aussieht, wenn sie lächelt.

Drei chinesische Fotografen halten ihre authentischen Porträts, während das umstrittene Dior-Bild am Boden liegt, umgeben von natürlichem Licht.

Was können Marken aus diesem Skandal lernen?

Erstens: Ignoranz ist kein Schutz. Wenn du in China arbeitest, musst du nicht nur chinesische Mitarbeiter haben - du musst chinesische Perspektiven in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Das Foto von Dior wurde von einem westlichen Team erstellt, ohne dass ein einziger chinesischer Kulturexperte oder Lokalredakteur konsultiert wurde.

Zweitens: Kultur ist kein Hintergrund. Sie ist kein „Stil“. Sie ist kein „Look“. Sie ist lebendig. Wenn du ein traditionelles chinesisches Interieur als Kulisse verwendest, dann musst du wissen, was es bedeutet - nicht nur, wie es aussieht.

Drittens: Entschuldigungen nach dem Skandal reichen nicht. Du musst vorher fragen. Du musst testen. Du musst Feedback einholen - nicht von PR-Agenturen, sondern von echten Menschen in der Zielgruppe.

Einige Marken haben das gelernt. Gucci hat seit 2023 eine „Kulturelle Sensibilitätskommission“ in Shanghai, bestehend aus Künstlern, Historikern und Aktivisten. Louis Vuitton hat eine neue Richtlinie: Jedes Foto mit asiatischen Modellen muss von mindestens zwei chinesischen Mitarbeitern genehmigt werden. Das ist kein Luxus. Das ist Überleben.

Wie sieht die Zukunft der Modefotografie in China aus?

Die Zukunft gehört nicht mehr den großen westlichen Marken, die ihre Visionen exportieren. Die Zukunft gehört denen, die zuhören. Die Modefotografie in China wird immer mehr von chinesischen Fotografen geprägt - wie Zhang Wei ein chinesischer Modefotograf, der mit lokalen Communities zusammenarbeitet, um authentische Körperdarstellungen zu schaffen oder Wang Lin eine chinesische Fotografin, die sich auf die Darstellung von Körpern mit Behinderungen und nicht-westlichen Schönheitsidealen spezialisiert hat. Ihre Arbeiten zeigen: Schönheit ist nicht universell. Sie ist lokal. Sie ist persönlich. Sie ist kulturell verwurzelt.

Dior hat den Skandal überlebt. Aber sie haben etwas verloren: das Vertrauen. Und Vertrauen ist in der Modebranche teurer als jedes Leder oder jede Perle.

Warum wurde das Dior-Foto in China als rassistisch angesehen?

Das Foto zeigte eine asiatische Frau in einer Unterwürfigkeitspose - liegend auf dem Boden - während eine weiße Fotografin über ihr kniete. Diese Bildsprache erinnerte viele an koloniale Darstellungen, in denen asiatische Menschen als passiv, dehumanisiert oder als bloße Kulisse dargestellt wurden. In China, wo kulturelle Würde und Selbstbestimmung heute zentrale Werte sind, wurde das als tief verletzend und rassistisch empfunden.

Welche Rolle spielte die Fotografin Annie Leibovitz im Skandal?

Annie Leibovitz war die Fotografin des umstrittenen Bildes. Obwohl sie international für ihre künstlerischen Arbeiten bekannt ist, wurde dieses Foto als Ausnahme von ihrer sonstigen Sensibilität wahrgenommen. Sie selbst hat sich nicht öffentlich zu dem Bild geäußert. Ihr Name wurde in der Diskussion oft genannt, weil sie als Symbol für westliche Modefotografie galt - und damit für die Strukturen, die den Skandal ermöglichten.

Haben andere Marken ähnliche Skandale erlebt?

Ja. 2019 wurde Prada wegen eines Designs kritisiert, das asiatische Augen nachahmte. 2021 wurde H&M für ein T-Shirt mit einem Aufdruck, das einen schwarzen Jungen als „Koala“ zeigte, in Schweden verurteilt. In China hat auch Burberry 2022 ein Foto zurückgezogen, das eine asiatische Frau mit einem roten Schirm als „exotisch“ darstellte. Diese Fälle zeigen: Kulturelle Unachtsamkeit ist kein Einzelfall - sondern ein systemisches Problem in der globalen Modeindustrie.

Wie haben chinesische Fotografen auf den Skandal reagiert?

Viele chinesische Fotografen haben den Skandal als Anstoß genutzt, um eigene Geschichten zu erzählen. Sie haben Projekte gestartet, die authentische, nicht-romantisierende Darstellungen chinesischer Körper zeigen - mit Narben, mit Falten, mit Alltagskleidung, mit individueller Ausstrahlung. Die Bewegung „Mein Gesicht, meine Regeln“ wurde zu einem Symbol für kulturelle Selbstbestimmung in der Modefotografie.

Was ist der größte Fehler, den westliche Marken in China machen?

Der größte Fehler ist, Kultur als Stil zu nutzen, statt sie als Leben zu verstehen. Viele Marken denken: „Wir haben ein chinesisches Model, wir haben ein chinesisches Interieur - das ist genug.“ Aber das ist es nicht. Kultur ist nicht dekorativ. Sie ist nicht dekorativ. Sie ist lebendig, komplex und verlangt Respekt - nicht nur Aufmerksamkeit.