Fotografie November 8, 2025

Wie fange ich mit der Fotografie an, wenn ich keine Erfahrung habe?

Melina Fassbinder 0 Kommentare

Stell dir vor, du stehst morgens vor dem Fenster, die Sonne geht auf, das Licht fällt sanft auf die Straßen, die Bäume, die Leute, die gerade in die Arbeit laufen. Du willst das einfangen. Aber du hast keine Ahnung, wie man einen Fotoapparat bedient. Keine Sorge - du bist nicht allein. Die meisten Profis haben genau so angefangen: mit einem unsicheren Griff, einer vagen Idee und dem Wunsch, etwas Schönes festzuhalten.

Was du wirklich brauchst - nicht mehr, nicht weniger

Du brauchst keinen teuren Vollformat-Sensor, keine fünf Objektive und auch keine Studiobeleuchtung. Was du brauchst, ist ein Gerät, das du bedienen kannst. Das kann ein Smartphone sein - ja, wirklich. Die Kameras in modernen Handys sind besser als viele DSLRs von vor zehn Jahren. Oder du holst dir eine günstige Kompaktkamera wie die Canon PowerShot SX740 oder eine gebrauchte Sony RX100. Beide passen in die Tasche, haben einen guten Zoom und eine einfache Bedienung. Wenn du später merkst, dass du mehr willst, kaufst du später - nicht jetzt.

Die größte Falle für Anfänger: zu viel Ausrüstung zu kaufen, weil du denkst, du bräuchtest sie. Das ist wie ein Anfänger, der gleich ein ganzes Werkzeugset kauft, bevor er einen Nagel in die Wand schlagen kann. Konzentrier dich auf das, was du gerade brauchst: eine Kamera, eine Ladung Akkus, eine Speicherkarte und ein paar Stunden Zeit.

Die drei Grundlagen, die du kennen musst

Fotografie ist nicht magisch. Es gibt drei Dinge, die jedes Bild beeinflussen - und die kannst du lernen, ohne einen Kurs zu besuchen.

  1. Belichtung: Das ist die Menge an Licht, die auf den Sensor trifft. Zu wenig Licht? Das Bild wird dunkel. Zu viel? Es wird weiß und alles verliert sich. Die Kamera macht das automatisch - aber du kannst es steuern. Suche im Menü nach Belichtungskorrektur (meist mit einem +/- Symbol). Probiere es aus: drehe den Drehknopf nach links, bis das Bild dunkler wird. Dann nach rechts, bis es heller wird. Das ist dein erstes Experiment.
  2. Blende: Das ist das Loch, durch das das Licht kommt. Eine kleine Blende (hohe Zahl wie f/16) bringt viel vom Bild scharf - perfekt für Landschaften. Eine große Blende (niedrige Zahl wie f/2.8) verschwimmt den Hintergrund - ideal für Porträts. Wenn du eine Kamera mit manueller Blendensteuerung hast, probier das aus. Wenn nicht: nutze den Porträtmodus oder Blendenpriorität (A oder Av auf dem Drehknopf).
  3. Verschlusszeit: Wie lange die Kamera das Licht einfängt. Schnell (1/500 Sekunde) - stoppt Bewegung. Langsam (1/2 Sekunde) - macht Wasser weich oder erzeugt Lichtspuren. Wenn du bei Tag mit langsamer Verschlusszeit fotografierst, wackelt das Bild. Dafür brauchst du ein Stativ - oder lehn dich an eine Wand. Versuch’s mal: stell die Kamera auf einen Tisch, drücke den Auslöser und halte den Atem an. Vergleich das Bild mit einem, das du ohne Stativ machst. Du wirst den Unterschied sehen.

Diese drei Elemente bilden das Belichtungsdreieck. Du musst sie nicht auswendig lernen - aber du musst sie ausprobieren. Jedes Bild, das du machst, ist eine Lektion.

Wie du lernst, ohne Lehrbücher zu lesen

Die meisten Anfänger verbringen Stunden mit Lesen - und machen dann noch keine Fotos. Das ist wie lernen, wie man schwimmt, ohne ins Wasser zu gehen.

Starte mit einem einfachen Ziel: Pro Tag ein Bild. Nicht perfekt. Nicht kunstvoll. Einfach ein Bild. Morgens der Kaffee auf dem Tisch. Mittags der Schatten eines Baumes. Abends das Licht im Fenster. Du wirst merken: dein Auge verändert sich. Du fängst an, Licht zu sehen - nicht nur Objekte.

Gehe nicht in den Park, um „schöne Fotos“ zu machen. Gehe hin, um zu beobachten. Was passiert, wenn du dich hinkniest? Was passiert, wenn du dich auf einen Baumstamm setzt? Was passiert, wenn du von oben runtersiehst? Fotografie ist nicht nur, was du zeigst - sondern wie du es siehst.

Anfänger fotografiert mit einer Kompaktkamera einen Baum mit langen Schatten auf dem Bürgersteig.

Die häufigsten Fehler - und wie du sie vermeidest

Wenn du mit Anfängern sprichst, hört man immer wieder dieselben Probleme. Hier sind die drei größten - und wie du sie löst.

  • Zu viele Elemente im Bild: Ein Bild mit fünf Menschen, drei Bäumen, einem Schild, einem Auto und einem Hund im Hintergrund - das ist überladen. Wähle ein Thema. Ein Mensch. Ein Objekt. Ein Licht. Alles andere stört. Zieh dich zurück. Mach dich kleiner. Konzentriere dich auf ein Detail.
  • Der Hintergrund ist chaotisch: Ein Porträt mit einem Müllcontainer im Hintergrund? Das zieht die Aufmerksamkeit weg. Gehe ein paar Schritte zur Seite. Klettere auf einen Hügel. Dreh dich. Suche nach einem einfarbigen Hintergrund - eine Wand, ein Baum, der Himmel. Du musst nicht alles zeigen. Du musst nur das Wichtige zeigen.
  • Die Augen sind unscharf: Bei Porträts ist das Gesicht das Wichtigste - und die Augen sind das Zentrum des Gesichts. Wenn die Augen unscharf sind, wirkt das Bild tot. Stelle sicher, dass deine Kamera auf die Augen fokussiert. Nutze den Punkt-AF oder Augenerkennung (wenn deine Kamera das kann). Wenn du unsicher bist: nimm drei Bilder hintereinander. Das dritte ist oft das beste.

Was du nicht brauchst - und warum

Du brauchst keine Photoshop-Kurse. Du brauchst keine Lightroom-Abos. Du brauchst keine Instagram-Strategie. Du brauchst keine 10.000 Fotos auf deiner Speicherkarte.

Was du brauchst, ist Wiederholung. Mach 50 Fotos. Schau sie dir an. Welches gefällt dir? Warum? Welches ist schlecht? Warum? Mach 50 mehr. Wiederhole das. Nach 200 Fotos wirst du merken: du siehst anders. Du denkst anders. Du fängst an, zu entscheiden - nicht nur zu drücken.

Und vergiss nicht: Kein Foto ist schlecht. Nur weil es nicht wie ein Instagram-Post aussieht, heißt das nicht, dass es keinen Wert hat. Ein Bild, das du an einem regnerischen Tag gemacht hast, als du traurig warst - das ist genauso wertvoll wie ein Sonnenuntergang. Fotografie ist nicht über Perfektion. Sie ist über Wahrheit.

Drei digitale Geräte schweben in Lichtstrahlen, symbolisieren das Belichtungsdreieck der Fotografie.

Wo du Hilfe findest - ohne teure Kurse

Es gibt keine Geheimnisse. Alles, was du brauchst, ist frei verfügbar.

  • YouTube-Kanäle: Suche nach „Fotografie für Anfänger Deutsch“. Der Kanal „Fotografie Lernen“ von Michael Schmid hat klare, einfache Erklärungen - ohne Schnickschnack. Keine Werbung, keine Überforderung. Nur das Wesentliche.
  • Facebook-Gruppen: Suche nach „Fotografie Anfänger Schweiz“. Du wirst Menschen finden, die genau wie du anfangen. Stell deine Fotos ein. Frag: „Was gefällt euch? Was nicht?“ Du wirst überrascht sein, wie offen andere sind.
  • Die Bibliothek: Geh in deine lokale Bibliothek. Hol dir ein Buch wie „Fotografie: Der Weg vom Anfänger zum Fotografen“ von Klaus Schönherr. Es ist nicht teuer, und du kannst es ausleihen. Lies nur die ersten 30 Seiten - und dann mach Fotos.

Dein erster Monat - ein Plan

Wenn du nichts tust, passiert nichts. Hier ist ein einfacher Plan für die ersten 30 Tage - kein Stress, kein Perfektionismus.

  1. Woche 1: Lerne, wie du die Kamera einschaltest, den Auslöser drückst und die Bilder ansiehst. Mach täglich ein Bild. Notiere: Wo war das Licht? Was war dein Thema?
  2. Woche 2: Probiere den Porträtmodus. Fotografiere eine Person - ein Familienmitglied, einen Freund. Frag: „Wie fühlt sich das an, fotografiert zu werden?“
  3. Woche 3: Gehe raus, ohne dein Handy. Nur die Kamera. Fotografiere Farben. Rot. Blau. Gelb. Was fällt dir auf? Welche Farben kommen häufig vor?
  4. Woche 4: Wähle ein Motiv - einen Baum, einen Brunnen, eine Tür. Fotografiere es an vier verschiedenen Tagen - zu unterschiedlichen Zeiten. Was verändert sich? Wie sieht es bei Sonnenaufgang aus? Bei Dämmerung?

Nach 30 Tagen wirst du nicht der beste Fotograf der Welt sein. Aber du wirst wissen, wie du ein Bild machst. Und das ist alles, was zählt.

Was kommt danach?

Du wirst merken: Fotografie wird zu einem Gespräch mit der Welt. Du wirst anfangen, Dinge zu sehen, die andere übersehen. Du wirst dich fragen: Warum ist das Licht heute so weich? Warum wirkt diese Ecke so einsam? Warum lächelt diese Frau, obwohl sie müde ist?

Dann wirst du dich fragen: Wie kann ich das noch besser zeigen? Und dann - und nur dann - wirst du bereit sein, mehr zu lernen. Mehr Ausrüstung. Mehr Technik. Mehr Stil. Aber das kommt später. Jetzt geht es nur darum: zu sehen. Zu fühlen. Und zu drücken.

Brauche ich eine teure Kamera, um gut zu fotografieren?

Nein. Die besten Fotos entstehen nicht mit der teuersten Kamera, sondern mit dem klarsten Blick. Viele professionelle Fotografen arbeiten mit Smartphones oder alten Kompaktkameras, weil sie wissen: Technik ist nur ein Werkzeug. Der Blick, die Geduld, die Beobachtung - das sind die echten Werkzeuge. Ein Smartphone von 2025 hat eine Kamera, die besser ist als viele Kameras von 2015. Nutze, was du hast.

Wie lange dauert es, bis ich gute Fotos mache?

Es gibt kein festes Zeitlimit. Aber die meisten Anfänger merken nach 100-200 Fotos einen Unterschied. Das liegt nicht an der Ausrüstung, sondern an der Wiederholung. Du lernst, was funktioniert und was nicht. Du entwickelst ein Gefühl für Licht, Komposition und Moment. Es ist wie lernen, ein Instrument zu spielen - du musst üben, nicht nur lesen.

Soll ich Fotos bearbeiten, wenn ich anfange?

Nicht gleich. Zuerst lernst du, das Bild richtig zu machen - nicht nachträglich zu retten. Bearbeitung ist wie Make-up: sie kann helfen, aber sie kann auch verstecken, was du noch nicht gelernt hast. Wenn du dein Bild zu dunkel machst, frage dich: Warum war es dunkel? War das Licht schlecht? War die Kamera falsch eingestellt? Behebe das Problem bei der Aufnahme - nicht später. Erst wenn du die Grundlagen beherrschst, lohnt sich die Bearbeitung.

Wie finde ich mein eigenes Stil?

Du findest deinen Stil nicht, indem du ihn suchst. Du findest ihn, indem du viele Fotos machst und sie dir ansiehst. Welche Bilder ziehen dich an? Welche fühlen sich „richtig“ an? Das sind deine Hinweise. Vielleicht magst du Schwarz-Weiß. Vielleicht magst du starke Farben. Vielleicht magst du Bilder mit viel Leere. Das ist dein Stil - nicht der von Instagram oder von einem Fotobuch. Dein Stil ist, was du wiederholt zeigst - ohne es zu planen.

Was mache ich, wenn ich keine Motivation habe?

Dann mach kein Foto. Aber geh raus. Geh spazieren. Schau dich um. Fotografie ist kein Zwang. Sie ist ein Weg, die Welt zu fühlen. Wenn du keine Lust hast, dann sei einfach da. Beobachte. Atme. Manchmal braucht das Auge Pause. Wenn du wieder bereit bist, wird das Licht anders sein - und du wirst es anders sehen.